Freitag, 22. August 2014

Lernschwächen und Anstrengungsmangel von Schülern


 

Die Frage nach der Henne oder dem Ei und das Lerntagebuch als Vorschlag zum Ausweg


 
Anhaltende schulfachliche Leistungsunter- oder Überforderung kann bei Schülern dazu führen, dass sie die Lernfreude verlieren und sich nicht mehr anstrengen wollen. Es kommt nicht selten zum Herumträumen, zu Verweigerungen oder sogar zu offenen Provokationen gegenüber Lehrern und Mitschülern.

Dann kommen wir Schulpsychologen bei Kontaktaufnahme durch die Eltern ins Spiel, versuchen die Über- oder Unterforderung konkreter zu fassen und Vorschläge für inner- oder außerschulische Differenzierung zu geben. Förderunterricht, Nachteilsausgleich, Lerntherapie, Nachhilfe, … und dann wird alles gut …! Oder?

Manchmal komme ich ins Grübeln: Was, wenn zumindest die Überforderung im Lernstoff nicht Ursache, sondern Folge der mangelnden Lernfreude und Anstrengungsbereitschaft ist? Die Überforderung durch den Stoff die Motivationslage allenfalls noch verschärft? Woher kommt so etwas denn dann, dass Kinder einfach keinen Spaß am Lernen finden und sich nicht mit dem Stoff auseinander setzen wollen?

Die Ursachen können vielfacher Art sein, haben aber auch oft damit zu tun, dass nicht/zu wenig bislang erfahren wurde, wie sich Anstrengung lohnen kann, sei es am eigenen Tun, indem die Anerkennung und Würdigung von Arbeitsergebnissen durch Erwachsene ausbleibt, oder durch Beobachtung am Vorbild, also vor allem Eltern, die sich anstrengen, um beispielsweise das Haus abzubezahlen, das Auto kaufen zu können oder die Wohnung selber renoviert zu bekommen. Und die glücklich sind, etwas sich Vorgenommenes erreicht zu haben.  Dazu gehört auch die kindliche Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub, also in Kindertagen zu lernen, dass manche Bedürfnisse nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit oder eben nach mehrfachen Bemühen befriedigt werden. Abwarten und Erarbeiten also. Das müssen die Erwachsenen Kindern vermitteln und dabei auch konsequent bleiben.  

Und manchmal fehlt auch der Überblick, was eigentlich erwartet wird in der Klasse, beim Lernen. Dann wird gelernt, weil der Lehrer eine Idee hat, der man jetzt einfach als Schüler einmal so folgen soll. Aber was ist mit eigenen Vorstellungen der Kinder? „Ich will lesen/schreiben/rechnen lernen.“ Kaum ein Grundschüler, der hier nicht zustimmen würde. Lohnt es sich da nicht mal zu vertiefen und nachzufragen, was man denn dafür Können und Tun muss? Kinder einbinden ist für die Motivation so wichtig. Auch wenn als erste Antwort vielleicht ein „Ich will lieber spielen.“ kommt. Denn es ist ebenso wichtig, klarzustellen, dass Schule auch und besonders ein Ort des Lernens ist. Also nicht: Spielen oder lernen? Sondern: Lernen! Und über welche Inhalte, darüber will ich mich mit Dir einigen, das ist mir wichtig, dass wir hier „am gleichen Strang ziehen“.

Das Führen eines Lerntagebuchs kann dabei sehr hilfreich sein: Zu Wochenbeginn geben Sie einen Überblick, was in dieser Woche Thema ist, also, was sie als Lehrerin bewirken wollen, aber auch der Schüler reflektiert seinen Lernstand und soll sich äußern, was er jetzt lernen kann. Diese gilt es schriftlich zu fixieren.um am Ende der Woche zu kontrollieren, was erreicht wurde, was nicht und was nun zu tun ist, um das Ziel doch noch zu erreichen. Auch: Was hat das Lernen vielleicht behindert, was hat mir geholfen?

Während die Zielfestlegung zu Beginn der Woche den Lernwillen unterstützen kann, ist das Reflektieren am Ende bedeutsam für das Verankern des neuen Stoffs. Man behält halt etwas länger und kann es später leichter abrufen, wenn man darüber redet und es so dem „passiven Konsum“ etwas entzieht.

Folgenden Link mit praktischen Vorlagen finde ich hierbei ganz hilfreich:


Anstrengungsbereitschaft soll also ein bisschen aus dem Reflektieren über die Anstrengung erwachsen. Klappt nicht immer, ist aber einen Versuch wert, finde ich.

Montag, 4. August 2014

Mal und Geteilt verstehen lernen

 „Malrechnen, das kann ich. 5 mal 5 sind 25, das ist meine Lieblingsaufgabe.“  

Justine, dritte Klasse, rechnet auch andere Malaufgaben des kleinen Einmaleins laut und richtig vor. Also alles Bestens sollte man meinen. Warum sie es aber nicht schafft, fünf Pakete mit je fünf Steinen aus den 25 ihr zur Verfügung stehenden Steinen zu legen, macht stutzig. Das „Pakete-Bilden“ hat mit ihrer „Malrechen-Welt“ offenbar nichts zu tun.

„36 durch 6, das sind: 6 durch 3 und 6 durch 6, also 2 und 1, also 21.“

Ansgar rechnet wild durcheinander, aber eine – leider falsche – Struktur ist erkennbar: Die Stellenwerte isoliert voneinander, dabei wird Divisor und Dividend vertauscht. 36 Bonbons auf sechs Kinder aufteilen, das kann Ansgar aber: Reihum bekommt jedes Kind je ein Bonbon und zwar solange, bis das letzte Bonbon verteilt ist. Dann haben alle Kinder je sechs Bonbons. „Hat das was mit Geteiltrechnen zu tun?“ Ansgar verneint.

Justine und Ansgar verbindet die Tatsache, dass in ihrer Vorstellung das Mal- und Geteiltrechnen eine Angelegenheit der Zahlenwelt, nicht aber der „Anzahlwelt“ ist. Das bedeutet, multiplizieren und dividieren sind in ihrem Verständnis Operationen nach definierten Regeln mit Zahlsymbolen, aufteilen, einteilen, verteilen usw. dagegen Vorgänge in der realen Mengenwelt. Diese Separierung macht es dann schwierig, Einsichten zu gewinnen: Die Malreihen auswendig zu können, heißt nicht, sie verstanden zu haben. Beim Geteiltrechnen Dividend und Divisor auseinander zu halten, kann nur verstanden werden, wenn klar ist, was auf Mengenebene konkret geschieht.

Welches Verständnis erfordert nun das Mal und das Geteiltrechnen?


Mal- und Geteiltrechnen sind formale Rechenoperationen, die konkrete Mengenoperationen abbilden. Um also Multiplikation und Division zu verstehen, muss verstanden werden, welche Mengenvorgänge damit abbildbar sind. Im Grundschulbereich sind dies auf basaler Ebene für die Multiplikation:
  • ein zeitlich-sukzessives Mengenmodell: Eine Handlung, die mit einem zählbaren Vorgang/zählbaren Objekten verbunden ist, mehrmals wiederholen („Peter geht 4 Mal in den Keller und holt jeweils 5 Eier herauf.“).
  • ein räumlich-simultanes Mengenmodell: Eine Menge ist in mehrere gleichmächtige Teilmengen disjunkt zerlegt („Im Laden steht eine Kiste mit 4 Netzen mit jeweils 5 Orangen.“).

Welches Verständnis erfordert nun das Geteiltrechnen?
  • Aufteilen (Dividend und Divisor beschreiben die gleichen Objekte/tragen die gleiche Einheit):„18 Eier werden in Schachteln zu je 6 Eier verteilt.“
18 Eier : 6 Eier = 3
  • Verteilen (Dividend und Divisor beschreiben verschiedene Objekte/tragen unterschiedliche Einheiten)
„30 Bonbons werden an 6 Kinder verteilt.“
30 Bonbons : 6 Kinder = 5 Bonbons pro Kind

In beiden Fällen ist eine mehrfache (fortgesetzte) Subtraktion möglich (Im Fall des Verteilens muss dazu jedoch gedanklich von 6 Kinder auf 6 Bonbons übergegangen werden!).

Und wie hängen nun Mal- und Geteiltrechnen zusammen?


Zentrales Element des Zahlbegriffs und der Addition und Subtraktion ist die Vorstellung eines Teil-Teil-Ganzes-Schemas: Zahlen als Ganzes lassen sich zerlegen in Teile, Teile lassen sich zusammenfügen zu Ganzem und aus der Zahl- respektive Mengenzerlegung und -vereinigung erschließt sich der Zusammenhang zwischen der Addition und Subtraktion. Additive Ergänzung und die Subtraktion sind also Operationen am gleichen Teil-Teil-Ganzes-Schema. 


Vorbereitend zur Multiplikation muss dann auch vermittelt werden, dass Zahlen als Ganzes auch in mehr als zwei Teile zerlegbar sind. Aus dem Teil-Teil-Ganzes-Schema wird ein Teile-Ganzes-Schema.



Sind diese Teile wiederum gleichmächtig, dann kann ich die Addition der Teile verkürzen, indem ich multipliziere.



Sind die Teile gleich groß, kann ich multiplizieren, so bald ich weiß, wie viele Teile es gibt und wie groß jedes Teil ist (im Beispiel also: 4x2). Nun ist auch die Umkehrung leicht zu verstehen: Division bedeutet, ein Ganzes in gleichmächtige Teile zu zerlegen. Zur Berechnung benötige ich also das Ganze (also die 8) und entweder die Anzahl der Teile (im Beispiel: 4) oder die Mächtigkeit eines der Teile (also, 2; und damit aller Teile, denn die Randbedingung „Gleichmächtigkeit der Teile“ besteht ja). Wie bei der Addition und Subtraktion sind also auch Multiplikation und Division Operationen am gleichen Schema, dem Teile-Ganzes-Schema als Erweiterung des Teil-Teil-Ganzes-Schemas unter der Randbedingung der Gleichmächtigkeit der Teile. Wird das gleichmächtige Teile-Ganzes-Schema auch als Erweiterung des Teil-Teil-Ganzes-Schema verstanden, dann wird auch klar, dass multiplizieren äquivalent zur fortgesetzten Addition mit gleichem Summanden ist 3x5 ist also 5+5+5).

Fassen wir zusammen zu folgender Lernreihenfolge:
  1. Aus dem Teil-Teil-Ganzes-Schema (vermittelt im Bereich der Addition und Subtraktion) soll ein Teile-Ganzes-Schema werden: Zahlvereinigung von mehr als zwei Teilen, Zahlzerlegung in mehr als zwei Teile.
  2. Randbedingung Gleichmächtigkeit der Teile einführen.
  3. Randbedingung Gleichmächtigkeit der Teile ermöglicht Teile-Ganzes-Schema zur multiplikativen Teile-Ganzes-Schema zu wandeln (also statt 2+2+2+2 = 8, nun 2x4=8): Multiplikation verkürzt die mehrfache Addition mit gleichem Summanden.
  4. Räumlich-simultane Mengenveränderungen sind Multiplikationssituationen.
  5. Zeitlich-sukzessive Mengenveränderungen sind Multiplikationssituationen.
  6. Multiplikatives Teile-Ganzes-Schema ermöglicht Abbildung eines räumlich-simultanen Mengengeschehens
  7. Multiplikatives Teile-Ganzes-Schema ermöglicht Abbildung eines zeitlich-sukzessiven Mengengeschehens
  8. Geteiltrechnen ist die Umkehrung der räumlich-simultanen oder der zeitlich-sukzessiven Mengenveränderung.
  9. Das multiplikative Teile-Ganzes-Schema ermöglicht die einfache Division zu lösen, indem aus dem Wissen um das Ganze und der Teileanzahl auf die Menge pro Teil bzw. aus dem Ganzen und der Menge pro Teil auf die Teileanzahl geschlossen werden kann. Division ist also die Umkehrung der Multiplikation.
  10. Die Division bildet zwei Sachsituationen ab: Das Aufteilen oder das Einteilen. Aufteilen ist also die Frage nach der Teileanzahl, Einteilen dagegen die Frage nach der Menge pro Teil.

Es sind diese Strukturbeziehungen, die verstanden werden müssen, damit Mal- und Geteiltaufgaben bei Schülern nicht zu inhaltsleeren Floskeln werden.

In einem nächsten Schritt sind dann Automatisierungshilfen zur Unterstützung hilfreich: Das kleine Einmaleins umfasst Reihen, die einfacher behalten werden können als andere:

Mal 1, mal 2 (Verdopplung), mal 5 und mal 10 sind Kernaufgaben, die leichter behalten werden können als z.B. die Siebener-Reihe. Durch Faktorentausch kann ich aber auch Aufgaben schwererer Reihen in leichtere transformieren: statt 5x7 also 7x5 – die leichtere Fünferreihe hilft dann im Lösungsprozess. Mit diesem Trick sind nur noch wenige Aufgaben tatsächlich schwer zu lösen, weil ein Faktorentausch keine Erleichterung bringt: z. B. 7x6 oder 4x9. Die Mehrzahl der Aufgaben des kleinen Einmaleins lässt sich aber auf Kernaufgaben zurückführen.

Es ist jedoch davor zu warnen, solche Lösungstricks zu vermitteln, ohne Einsicht in die Strukturbeziehungen zu geben, denn so würde der Eindruck intensiviert werden, Mal- und später Geteiltrechnen seien ein inhaltsleeres „Regelspiel“. 3x9 kann ich bei gleichem Ergebnis zu 9x3 machen, 9:3 aber nicht zu 3:9. 3x9 ist 9+9+9, 9:3 ist aber 3+3+3.

Lösungstricks sind also als Zwischenschritt zur Automatisierung hilfreich, man muss aber die Strukturzusammenhänge klären, um fehlerhafte Analogien (z. B. 3x9 und 9:3 sind eben nicht Operationen am gleichen Ganzen) zu vermeiden. Im Rahmen einer Rechenförderung sind solche fehlerhaften Überlegungen aufzudecken und am konkreten Anschauungsmaterial das Lösungsvorgehen und die Zusammenhänge zu besprechen. Ein Steckbrett, in dem ich durch 90 Grad-Drehung aus 9x3 ein 3x9 werden lasse, ohne dass sich an den 27 Steckelementen etwas ändert, veranschaulicht die Möglichkeit der Faktorenvertauschung. Die Division als Umkehrung der Multiplikation setzt aber dann am Ganzen an, also der 27, die aufgeteilt oder verteilt wird.

Es gilt demnach Mal- und Geteiltrechnen handlungsorientiert am konkreten Material zu vermitteln, um die korrekten mathematischen Einsichten zu gewinnen. Das vorliegende Übungsmaterial aus der Frodi-Reihe zielt daher auf eine Vermittlung und Übung der vorgenannten inhaltlichen Aspekte ab und erarbeitet handlungsorientiert die Struktur- und Anwendungsaspekte der Multiplikation und Division.