Mittwoch, 8. Oktober 2014

Gute Nachhilfe, schlechte Nachhilfe

Jannik, 9. Klasse Gymnasium, kommt mit Mathe einfach nicht zurecht. Okay, es ist ein bisschen Pubertät dabei, dass das mit den Wurzelfunktionen nicht in den Schädel will, darauf führt es jedenfalls sein Mathelehrer zurück. Blöd nur, dass da jetzt seine Eltern auch nicht mehr so recht durchblicken, das ist schon mühsam, wenn Vater abends auch keine rechte Erklärung für die Hausaufgabenstellung hat.
Solche oder ähnliche Situationen veranlassen Eltern früher oder später über Nachhilfe nachzudenken. Nun gibt es da mittlerweile eine Riesenfülle von Anbietern: Der Nachhilfelehrer, der nach Hause kommt. Der Gruppenunterricht in einem Institut. Die online-Nachhilfe als Wissensportal und chat oder als live Eins-zu-Eins-Unterricht. ...
Was sollte man berücksichtigen?
Zunächst einmal: Nachhilfe ist etwas komplett anderes als die Hilfe bei der Lösung von Hausaufgaben. Hausaufgaben sollen das in der Schule Behandelte vertiefen und einüben. Nachhilfe dagegen setzt davor an: Es gilt das in der Schule aktuell nicht Verstandene zu erarbeiten und das Wissen ins eigene kognitive Wissensnetz zu integrieren. Das setzt voraus, das die Lernausgangslage des Schülers vorab klar ist. Daher sollte ein guter Nachhilfelehrer immer eine Diagnosephase zu Beginn der Nachhilfe stehen haben, wie er auch nach jeder Stunde sehen muss, wo die Wissenslücken sind und der Schüler gleichzeitig klar formulieren kann, was er denn nun in der Stunde erarbeitet hat. Deshalb ist es ein schlechter Nachhilfeunterricht, wenn der Lehrer sich nur grob vom Schüler skizzieren lässt, was aktuell behandelt wird und dann sofort in eine Erarbeitungsphase eintritt. Was, wenn der Schüler damit überfordert ist, weil er auch vorgelagertes Wissen noch nicht verstanden hat?
Ein weiteres Missverständnis ist es, wenn Nachhilfe als Erklärstunde verstanden wird. Mal ehrlich: Wenn es nur um das Erklären ginge, dann gibt das Internet mittlerweile so viel her, da könnte man sich viel Geld sparen. So funktioniert nur schulisches Lernen eben nicht. Der Wissenserwerb setzt eine AKTIVE Beschäftigung mit dem Lerngegenstand voraus. Aufgabe des Lehrers ist es also nicht, mal schnöde etwas zu erklären, was dann nur noch eingeübt werden muss. Wissen zu erwerben bedeutet, vorhandenes Wissen zu aktivieren, neue Inhalte mit bekannten Inhalten zu verknüpfen, über Lösungsideen zu reflektieren, verschiedene Ideen vielleicht auch erst einmal nebeneinander zu stellen, um sie dann zu prüfen. Ein guter Nachhilfelehrer setzt also nicht gleich zu langen Erklärungen an, sondern stellt geschickt Fragen an den Schüler, lässt Falschaussagen vielleicht sogar zunächst wertungsfrei zu, um den Schüler die Möglichkeit zu geben, seine Lösung zu finden.
Das bedeutet aber: Ein dozierender Nachhilfelehrer ist zumeist kein guter Nachhilfelehrer. Um zu erkennen, ob der Lehrer ein dozierender ist, reicht es oft, einfach den Redeanteil des Lehrers ins Verhältnis zu setzen zum Zeitanteil der Arbeitsaktivität des Schülers.
Was noch? Ja, Nachhilfe hat seinen Preis. Hier sollte man immer das Gesamtpaket sehen: Ein Nachhilfelehrer, der nach Hause kommt, hat in der Regel Fahrtkosten und Anfahrtzeit, die mit entgolten werden sollten. Ein Institut hat Räume und Angestellte zu bezahlen. Ein guter Nachhilfelehrer spricht nach Ihrer Einwilligung auch mit dem Fachlehrer, der den Schüler ja in der Regel viel länger kennt und eine differenziertere Einschätzung über das Lernniveau geben kann. Auch das ist Arbeitszeit. Ein Nachhilfelehrer, der eigenes Unterrichtsmaterial verwendet, hat ebenfalls weitere Auslagen. Guter Nachhilfeunterricht setzt zudem voraus, dass man für Vor- und Nachbereitung zumeist ca. 15 Extraminuten für eine 90-Minuten-Einheit einkalkulieren muss. Bezahlt wird zumeist trotzdem nur für die Unterrichtsstunden. Also was ist ein fairer Preis?
Das ist nicht so leicht zu beantworten: Der dozierende Professor, der nebenher für 30 Euro die Stunde Unterricht gibt, ist das Geld vielleicht gar nicht so wert, weil ihm die didaktische Kompetenz für gute Nachhilfe fehlt. Der Student, der für 7,50 € in einem Nachhilfeinstitut schuftet, und im Gruppenunterricht die hohe Kunst der Binnendifferenzierung beherrscht, die Schüler zum Nachdenken und Tun anregt und bei einer Fünfergruppe mit 15 Minuten für Vor- und Nachbereitung nicht hinkommt, ist dagegen eindeutig unterbezahlt.
Ich will also bewusst keinen Preis nennen, denn wichtig ist, dass der Preis in richtiger (und damit meine ich auch von Ihnen gefühlter) Relation zur Qualität des Unterrichts und all den Aufwendungen steht, die der Unterricht erfordert.
Qualität meint einen aktiv-entdeckenden Lernstil, ein Lehrer, der eher als Moderator oder Coach agiert, einen Unterricht, der nicht von Stunde zu Stunde geplant ist, sondern kurz-, mittel- und langfristige Lernziele für den Schüler formuliert und Maßnahmen und Arbeitsmittel an diesen Zielen ausrichtet. Fragen Sie ruhig nach, wenn sie einen Nachhilfevertrag abschließen:
Wie wird unterrichtet? Welchen Förderplan gibt es (wie differenziert ist dieser? "Fünf weg - oder Geld zurück" ist kein Förderplan und einfach nur unseriös)? Welche Arbeitsmittel werden eingesetzt? Wird Ihnen angeboten, mit der Schule zu sprechen?
Dabei ist auch zu berücksichtigen: Wie ist die Beziehungsqualität des Nachhilfelehrers zum Schüler? Sprich: Der Sympathiefaktor spielt gerade auch für die Motivation eine wichtige Rolle. Verkürzt gesprochen: "Mathe ätzt.Nachhilfelehrer finde ich lustig. Mathe-Nachhilfe ist manchmal lustig. Mathe-Aufgabe ist ätzend, aber warte mal, da habe ich ja in der letzten Stunde ... und dann war das lustig und ... ja, so ging die Lösung." Der Wissenabruf gelingt besser, wenn der Erwerbsprozess positiv emotional besetzt ist. Auch hieran hakt es ja oft: Man versteht nichts mehr, man hat keinen Spaß mehr und es rauscht an einem vorbei. Spaß allein hilft allein sicherlich auch nicht zum Verständnis, aber Sympathie macht die Aufnahmebereitschaft schon leichter. Also fragen Sie auch danach, wie ihr Kind den Lehrer findet.  
Leider finde ich, dass die öffentliche Betrachtung des Themas Nachhilfe zumeist an den pädagogisch-psychologischen Qualitätskriterien vorbei geht und sich vornehmlich auf die Marktbeschreibung und einer politischen Bewertung derselben  konzentriert. Aus wissenschaftlicher Perspektive wäre es doch viel sinnvoller, methodisch-didaktische Prinzipien für Nachhilfeunterricht zu evaluieren und daran orientiert dann eine Ökonomiedebatte zu führen: Welche Form des Nachhilfeunterrichts ist am effiziensten für den Lerngewinn des Schülers, hat also die günstigste Invest / learning benefit - Relation?
Nur eine mögliche Beispielfragestellung: Wie oft sollte Nachhilfe pro Woche sein? Wie lange am Tag? Was, wenn es einen größeren Anfahrtsweg zur Nachhilfe gibt? Dann wird der Invest ja größer, die relation verschiebt sich dann. usw.
Hierzu fällt mir sicherlich in nächster Zeit noch mehr an Fragen ein, die man in sinnvolle Forschung zur Nachhilfe münden könnten. Mehr also demnächst. Bis dahin erstmal.


  

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