Mythos
Lerntypen
Vielleicht haben Sie schon einmal von Lerntypen gehört: Sie
sind in der Pädagogik und der Lernberatungsindustrie ein stark verbreiteter
Ansatz, seit Frederic Vester, ein Kybernetiker, in den 80er Jahren in seinem
Buch „Denken, Lernen, Vergessen“ das erste Mal davon sprach (http://www.dtv.de/buecher/denken_lernen_vergessen_33045.html).
Was besagt der Ansatz?
Der Lerntypen-Ansatz geht davon aus, dass es individuelle
Sinnesvorlieben bei der Informationsaufnahme innerhalb eines Lernprozesses gibt.
„Visuelle Typen“ lernen daher am besten, wenn sie Informationen in Form von
Texten erhalten, „auditive Typen“, wenn der Stoff im Gespräch oder mit
passender Geräusch- und Tonkulisse vermittelt wird, „haptische Typen“, wenn die
Information mit Bewegung und Anfassen verknüpft ist und „verbal-abstrakte
Typen“, wenn sie sich verbal-geistig mit dem Stoff auseinandersetzen. Nun gebe
es solche Typen nicht in Reinkultur, aber bei jedem von uns dominiere eine
Ausprägung. Man könne dann das Lernen verbessern, wenn man den Lernstoff
entsprechend darbietet, umgekehrt würden sich Lerndefizite mit dadurch erklären
lassen, dass der dominierende Lernkanal nicht entsprechend angesprochen wurde.
Lerntypentests dienten einer wie wir heute wissen wenig validen Analyse der Defizite und sollten
einen Ansatz zur Intervention im Nachhilfeunterricht bieten.
Wem nützt der Ansatz?
Solche Typenvorstellungen sind im Alltag recht praktisch,
ordnen sie doch unser Zusammenleben und liefern uns Erklärungsmuster. Das
erklärt auch die starke Verbreitung der Vorstellung, es gebe sie – die
Lerntypen. Ratgeberliteratur, Berater, Lerncoachs, Nachhilfeeinrichtungen,
Lerntherapeuten – für sie ist es auch zweckdienlich, eine solche Typologie zu
verwenden, greift sie doch ein leicht nachvollziehbares Modell des Lernens beim
Kunden auf.
Wie zutreffend ist der Ansatz?
Hat denn dieses Typenmodell wissenschaftlichen Bestand
und ist daher als sinnvoll einzustufen? Hier ist das Ergebnis eher ernüchternd:
Pashler et al. (2009; http://laplab.ucsd.edu/articles/Pashler_et_al_2009PSPI.pdf) analysierten alle bis dahin vorhandenen Studien zu Lernstilen und mussten konstatieren, dass es in fast allen Studien an wissenschaftlichen Standards empirischer Forschung fehlte. Mit den wenigen Studien, die wissenschaftlich akzeptabel waren, ließ sich dagegen eine Lerntypologie nicht belegen.
Pashler et al. (2009; http://laplab.ucsd.edu/articles/Pashler_et_al_2009PSPI.pdf) analysierten alle bis dahin vorhandenen Studien zu Lernstilen und mussten konstatieren, dass es in fast allen Studien an wissenschaftlichen Standards empirischer Forschung fehlte. Mit den wenigen Studien, die wissenschaftlich akzeptabel waren, ließ sich dagegen eine Lerntypologie nicht belegen.
Auch theoretisch ist es schwer anzunehmen, dass es
gelingen kann, Lernarrangements auf Adressierungen spezieller Sinneskanäle
auszurichten. Der Unterricht im Klassenraum wie das alltägliche Leben ist immer
geprägt von diversen Sinneseindrücken: Das Schulbuch steht da genauso im
Schulalltag wie der Tafelanschrieb, wie das Unterrichtsgespräch oder das
Experimentieren mit greifbaren Dingen. Mal mehr, mal weniger – das hängt aber
nicht vom Lerntyp ab, sondern davon, welcher Lerninhalt vermittelt werden soll.
Mathematikgleichungen sind visuell. Man kann sie auch aussprechen, aber dann
hängt es von der auditiven Merkfähigkeit ab, wie viele Elemente man behält,
ohne dass man doch zum Stift greift. Und der Sportunterricht wird keine guten
Athleten hervorbringen, wenn er „visuellen Typen“ alles nur grafisch und ohne
Bewegung erläutert.
Was stattdessen?
Grundsätzlich ist es wesentlich bedeutsamer,
bedeutungshaltig zu lernen. Das gelingt dann am ehesten, wenn ich vorhandenes
Wissen aktiviere und neue Inhalte exploriere, sie von allen Seiten beleuchte,
frage, wie ich den Inhalt in meinem vorhandenen Wissen einsortiere, es mit
eigenen Worten wiedergebe, auf Fragen von Dritten zum Thema versuche Antworten
zu finden, mit dem Wissen neue Fragestellungen ausprobiere usw.
All das steigert die Verarbeitungstiefe von Information.
Und will der Lehrer es richtig gut machen, dann spricht er die Emotionen der
Schüler an, denn es sind unsere Gefühle, die dafür sorgen, dass man etwas lang
behält.
Daniel Willingham, Psychologie-Professor an der
University of Virginia, schreibt es auf der Internetseite der American Educator
(http://www.aft.org/newspubs/periodicals/ae/summer2005/willingham.cfm)
treffend:
“Children probably do differ in how good their visual and auditory
memories are, but in most situations, it makes little difference in the
classroom.”
Kinder unterscheiden sich also vermutlich in der Tat in
ihren auditiven oder visuellen Merkfähigkeiten (insofern lassen sich „Typen“
benennen), es macht im Klassenraum aber keinen Unterschied im Lernerfolg aus. Und
so sollte der Unterricht auch nicht nach Lerntypen erfolgen, sondern anregend
sein, aktiv und entdeckend, weil diese Unterrichtsmerkmale unmittelbar einen
Effekt auf den Lernerfolg aufweisen. Und dafür werden alle Sinne gebraucht.
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